Diesseits des Todes ein letztes Erinnern
Zu Ernst Kreuders Roman Der Mann im Bahnwärterhaus
Hatte Ernst Kreuder für seinen letzten Roman selbst noch als Titel "Diesseits
des Todes" vorgesehen, entschied sich der Verlag Langen-Müller, als der Roman
1973 posthum erschien, für die Benennung Der Mann im Bahnwärterhaus, vielleicht
um Anknüpfung an Kreuders bekanntere Nachkriegstitel Die Gesellschaft vom Dachboden
und Die Unauffindbaren zu signalisieren. Auf Fortführung setzt auch der Klappentext,
wenn es bspw. heißt, das Buch sei
vehemente[r] Protest gegen die kahle Nur-"Sachlichkeit" verengter Techno- und Bürokraten,
gegen die aufgenötigten Zwänge eines planen, platten Pragmatismus. Entschiedene
Parteinahme für die Phantasievollen, Spielerischen, die "unangepaßten"
Träumer [...]. Dem dumpfen Aberwitz der "Leistungsgesellschaft" setzt er den
befreienden Aus- und Aufbruch seiner mutwilligen, doch friedfertigen Outsider entgegen
[...]: ein echter Kreuder.
Natürlich versuchte der Verlag so, Kreuders Werk im veränderten gesellschaftlichen
Klima nach 1968 als nunmehr aktuell zu platzieren, als hätte die gesellschaftliche
Stimmungslage nun endlich zu Kreuders Texten aufgeschlossen. Solche Reaktualisierung
ist immer wieder versucht worden, etwa wenn Böll 1969 in seiner Besprechung
von Hörensagen (1969) schreibt: "Während der ‚underground’ längst
in die Beletage aufgerückt ist [...], wird ein Untergrunddichter wie Ernst
Kreuder kaum noch wahrgenommen", oder Hans Mayer 1988 mutmaßt: "Durchaus denkbar,
daß Kreuder und seinem Personal ein neuer Ruhm beschieden sein könnte
in unseren Tagen, vergleichbar der späten und weltweiten Resonanz des Steppenwolf
von Hermann Hesse. Die Gesellschaft vom Dachboden ist eine Geschichte der Aussteiger
im heutigen Sinne des Wortes."
Zwar sind tatsächlich in den 80er und den 90er Jahren einige Nachkriegstexte
Kreuders neu aufgelegt worden, in kleineren (Kranichsteiner, Edition Maschke) und
größeren (Suhrkamp, dtv, Rotbuch) Verlagen, zwar ist bei Reclam eine
Sammlung von Kurztexten und im Aufbau-Verlag 1990 eine recht umfangreiche (zudem
sehr brauchbar kommentierte) Werkauswahl erschienen, zu einer breiteren "Wiederentdeckung"
Kreuders durch Publikum und Kritik aber ist es nicht gekommen, so dass der 100ste
Geburtstag im August diesen Jahres fast unbemerkt vorbeiging. Ein "echter Kreuder"
ist Der Mann im Bahnwärterhaus in diesem Zusammenhang auch deswegen, weil er,
wie alle Langtexte Kreuders nach 1954, nie wieder aufgelegt worden ist.
In seiner Einführung in die kleine Ernst-Kreuder-Reihe der Kritischen Ausgabe
(Nr. 2/2001) hat Benedikt Viertelhaus festgestellt, Kreuder erscheine "als der vergessene
Autor schlechthin" und gefragt: "warum sollte man sich weiter mit seinem Werk beschäftigen?"
– Ja, warum eigentlich?
Die verschiedenen Nachworte zu den Neuausgaben begründen dies in der Regel
ähnlich wie der Langen-Müller-Verlag 1973 mit zeitkritischen Aspekten:
Kreuder sei, wie Schulz in der bislang einzigen Monographie zu dessen Werk (Macht
die Augen auf und träumt, 1992) formuliert, "ein irritierend aktueller Autor
[...], den wiederzuentdecken sich lohnt".
Wie ist es damit in Kreuders letztem Roman?
Der Roman besteht aus Aufzeichnungen eines älteren Literaten, der sich in ein
verfallenes Bahnwärterhäuschen zurückgezogen hat und mit literatur-
und zeitkritischen Brotarbeiten für Zeitungen sein Geld verdient. Diesem Ungenannten
gehen wie schon in Kreuders Nachkriegserzählung Schwebender Weg die Zeiten
und Orte durcheinander: Zu Beginn fährt auf der stillgelegten Bahnstrecke sein
vor einigen Jahren verstorbener Vater in einem hellerleuchteten Zugabteil vor, in
einer verlassenen Tankstelle findet sich der Erzähler in der unmittelbaren
Nachkriegszeit wieder, später sitzt er mit anderen Verurteilten in der Leningrader
Peter-Pauls-Festung ein, u.s.w. Der Erzähler sucht einen alten Freund, den
"Arzt für die Nichtmehrgehorchenden" Bonmartin, in dessen Nervenheilanstalt
auf, um zur Ruhe zu kommen. In bester Kreudertradition werden beide später
mit einem vielleicht an Döblins Wang-lun erinnern sollenden stillen, taoistisch
angehauchten Zug von Irrenhausentlaufenen und anderen Sympathisanten im Wald von
der Polizei verfolgt
(Motto: "Bedürfnislosigkeit schützt vor Ausbeutung, Verfolgung und Entlassungen.
Sowie vor Handwerkern." Oder: "Mehr Muße. Weniger arbeiten. Mehr Mundharmonikaspielen!")
und verwirklichen mittels einer märchenhaften Erbschaft allerlei neue Einrichtungen
für Sonderlinge wie sich und andere Entgleiste, planen Volkshochschulkurse
für Gefängniswärter, behutsame Sanierung von Barackenvierteln, Tierspielplätze
und eine Polizei-Schieß-Schule, in der Polizisten lernen sollen, im äußersten
Notfall auf die Beine zu schießen, sowie ein Zirkuszelt, wo Geisteswissenschaftler
"Geschichten aus ihrem Leben als ehemalige 'Zwangsfachidioten'" erzählen und
Rolf Hochhuth aus seinem rororo-Bändchen Krieg und Klassenkrieg ("Lob und Dank,
nicht mehr rückgängig zu machen") vorliest. Eingeflochten in diese Rahmenhandlung
sind über Tagträume, Geistererscheinungen
(auch in Form von besprochenen Tonbändern) und Erzählungen viele Erinnerungsfragmente
sowie die Geschichte eines Schrifstellers mit dem sprechenden Namen Nestor, den
der Ungenannte gelegentlich auf Schriftstellerkongressen, so beispielsweise bei
der Antrittsrede bei der Mainzer Akademie der Wissenschaften und der Literatur,
als Doppelgänger vertritt.
Wie in anderen Kreuder-Texten wird auch hier viel vom Leder gezogen – "schwatzen
wollen die Kerls; weiter nichts!", so Arno Schmidt in seinem Verriss von Agimos
1960. Es geht gegen Umweltverschmutzung und die Polizei, gegen die "sogenannte Geschichte",
Hitler und die fehlende "Liebe zur Schöpfung", gegen die "jämmerlichen
Profitpinkel", Porscheflegel, gackernde Touristinnen und das Resopalbewusstsein.
Entworfen wird eine Vorschrift, alle, Würdenträger, Nachrichtensprecher,
Soziologen und Ärztekongressredner, sollten ein Schildchen mit ihrem Netto-Gehalt
am Revers tragen; ausprobiert werden sollte einmal, mit der Post Postkarten mit
KZ-Photos zu verschicken und so weiter: "Oft ist die Gesinnung brav – Kreuder ist
schon, er mag wollen oder nicht, ein 'guter linker Mann'!" (Arno Schmidt)
Unbenommen; aber sind diese pauschalen Rundumschläge auch "irritierend aktuell"?
Handelt es sich dabei nicht viel eher, wie in anderen Kreudertexten auch, um einen
Firnis von lautstark aufgetragener Motzerei über eigene Verletzlichkeit? Kreuders
Freund Nossack hat das in einem Tagebucheintrag vom 27.02.1965 anlässlich einer
Tagung der Mainzer Akademie einfühlsam, nämlich ambivalent beschrieben:
Kreuder wie immer zu laut mit irgendwelchen revolutionären Thesen, die im Grunde
Romantizismus sind. Aus irgendeiner Schwäche spielt er den wilden Mann, obwohl
er nichts weniger ist als das. Eine Clownerie, die zuerst amüsiert und dann
lästig fällt, zumal er sich blamiert. [...] Doch um gerecht zu sein: Kreuder
hat unglaublich witzige Einfälle, und wenn er selbst über diese Einfälle
lacht, ist er geradezu liebenswert. So als ob er über sich selber lacht, d.h.
über das, was er zu sein vorgibt und nicht ist. Doch immer kommt der Moment,
wo er sich über das Lachen ärgert und in eine lautstarke Schimpferei auf
alle Anwesenden fällt.
Gegen die Umdeutung Kreuders zum politischen Zeitkritiker möchte ich eine andere
Lesart stellen: (auch) Kreuders letzter Roman hat eigentlich v.a. ein Thema: die
eigene Schriftstellerexistenz.
Beispielsweise ist die Erwähnung von Rolf Hochhuth sicherlich kein Zufall:
Hochhuth hat den von Herbert Reinoß 1972 herausgegebenen Sammelband Fazit,
der Kreuder und andere damals aus dem öffentlichen Bewusstsein gerutschte ältere
Autoren wie Kaschnitz, Thieß, Hausmann, Helwig, Koeppen, Neumann und viele
andere versammelt, mit einem freundlichen Vorwort versehen, in dem er feststellt:
"mit der Qualität einer Arbeit hat es gar nichts zu tun, ob ein gekannter Autor
in der Gunst der Öffentlichkeit bleibt" und Flake zitiert: "Weitergeben mag
zuletzt der Sinn des Daseins sein". Aber: "Die Kritik, die weitergeben könnte,
hängt zu ausschließlich am Neuen, wenigstens in Deutschland, um das zu
tun".
Von der Kritik hat sich Kreuder oft missverstanden gefühlt, Literaturkritiker
standen daher von der Gesellschaft vom Dachboden an stets im Fadenkreuz. Und auch
im Mann im Bahnwärterhaus tritt ein Kritiker persönlich auf, und – das
könnte einem glatt bekannt vorkommen: Ein Schriftsteller steht in dem Verdacht,
mit dem spurlosen Verschwinden eines Starkritikers zu tun zu haben. Abneigung, ja
Abscheu werden breit aufgetischt: Der "Literaturmachthaber" war im eigenen Schreiben
ein "Versager", wird dann zum literaturkritischen "Heckenschützen", zum "Totengräber
unbequemer Autoren", zum "Vorsitzenden des Literatur-Gerichtshofs", kurz: zum "Termiten".
Wenig anziehend auch das Äußere: beleibt, Stirnglatze, Hals in den Schultern,
kurzsichtig, wulstige Lippen, abstehende Ohren, perfekte Kunstzähne, supermoderne
Brille… Nun heißt der Kritiker nicht André Ehrl-König, sondern Schilling
(Pseudonym: "Linzer"), und der ihn angeblich verfolgende Schriftsteller nicht Lach,
sondern Nestor. Und das Echo auf Kreuders Roman war mit dem aus bekannten Gründen
lautstarken auf Walsers Tod eines Kritikers 2002 natürlich nicht annähernd
zu vergleichen. Aufschlussreich aber ist die Passage aus einem ganz anderen Grund:
Der angeblich entführte Kritiker hat sich, da er sich von einer erbosten Nestor-Leserin
bedroht fühlt, in ein ländliches Domizil zurückgezogen und dabei
einen den Schriftsteller belastenden Notizzettel hinterlassen. Die Entführung
Reich-Ranickis ist also im doppelten Sinne fiktiv. Reich-Ranicki hat Kreuder meines
Wissens zeitlebens ignoriert, zumindest ist keine Rezension bekannt. Allerdings
nimmt er Kreuders Erzählung "Große Verbrechen lohnen sich nicht mehr"
in seine 1965 erschienene Anthologie Erfundene Wahrheit auf. In dieser Erzählung
geht es um einige Verbrecher, die eines Tages aufgrund der bitteren Erfahrung, dass
an realen Verbrechen vor allem die Sekundärverwerter bei Funk, Presse, Film
und Fernsehen verdienen, beschließen, Verbrechen nur noch möglichst wahrheitsgetreu
zu erfinden und damit ihr Geld zu verdienen. Eben dieses Mittel wendet in Kreuders
Roman auch der scheinbar entführte Kritiker an.
Anders als Kreuder hat es Rolf-Dieter Brinkmann mit einer Bedrohungsphantasie in
Reich-Ranickis Memoiren geschafft: Zitiert wird Brinkmann auf einer gemeinsamen
Podiumsveranstaltung in der Akademie der Künste in Berlin mit den Worten: "Ich
sollte überhaupt nicht mit Ihnen reden, ich sollte hier ein Maschinengewehr
haben und Sie niederschießen." Weniger bekannt ist, dass Brinkmann 1972 als
Stipendiat der Villa Massimo in Rom versucht hat, "den unter armen Verhältnissen
lebenden 70jährigen Ernst Kreuder, Gesellschaft vom Dachboden, das zu lesen
mir damals in der Gammel-Beatnik-Zeit Spaß gemacht hat, hier als Ehrengast
3 Monate zu holen, wird besser sein und nützlicher als so ein mieser Professor
mit Professoraler zurückgelehnter Würde" (Brinkmann: Rom Blicke). Auch
wenn Brinkmann zuvor notiert hatte: "Kreuder, las ihn auch noch einmal hier in Rom,
platt und nichts als Sonnenschein und Polemik, Gärtnerei und Sommers Einsiedelei
– nicht mehr zu lesen", ließ er ihn doch einladen. Kreuder starb vor Antritt
der Reise.
Brinkmann hatte sich noch 1959 als junger Buchhändlerlehrling in anrührenden
Briefen (die leider noch unveröffentlicht im Marbacher Literaturarchiv liegen)
an den verehrten Autor Kreuder gewandt. Wenn nun der Ich-Erzähler in Der Mann
im Bahnwärterhaus in einem ihm zugesandten "brandneuen Roman" eines ungenannt
bleibenden 35-jährigen Autors den Satz unterstreicht: "Alles war einfach nur
da, sonst nichts, ohne eine Bedeutung", und dann losschimpft: "Dann ist dir in deiner
ausgepulverten Leere nicht mehr zu helfen", meint er unverkennbar Brinkmanns Keiner
weiß mehr.
Um es kurz zu machen: Wohl in keinen anderen Roman hat Kreuder so viel autobiographisches
Material, so viele Bezüge zu und direkte oder indirekte Zitate aus eigenen
Texten gepackt wie in seinen letzten Roman. Die Fülle ist schier erdrückend.
Um einiges willkürlich herauszugreifen: Da taucht im Roman in Irland, wo der
Ich-Erzähler einen Arbeitsurlaub verlebt, der alte Freund Molestin auf, d.i.
Carl Mumm, spiritus rector des Animalisten-Kreises, zu dem auch Kreuder in den 20er
Jahren gehörte, später Studienrat und "Sonntagsschriftsteller". Ausführlich
erinnert wird die Zeit ihrer Bekanntschaft als Studenten in Frankfurt (ein anderer
Kommilitone in dieser Zeit, den Kreuder allerdings erst viel später persönlich
kennenlernen wird, ist Adorno). Und bei dem im Roman von rechtradikalen Schlägern
verprügelten Literatur- und Kirchenkritiker Einziger handelt es sich wohl um
Karlheinz Deschner, mit dem Kreuder seit Ende der 50er Jahre befreundet war.
Der Mann im Bahnwärterhaus ist voller autobiographischer Erinnerungssequenzen.
Zitiert wird aus Kreuders Notizbuch, das dieser während seiner siebenwöchigen
Kriegsgefangenschaft im Lager Sinzig geführt hat. Jugend, Krieg und Nachkrieg
sind, wie in Kreuders explizit autobiographischen Texten, auch in seinem letzten
Roman die Lebensabschnitte, die vor allem wieder hervordrängen, aus denen sich
die schwankenden Gestalten wieder nahen.
Und schließlich steckt der Roman voller intertextueller Bezüge. Wenn
ein Kapitel beginnt: "Ich war früh aufgestanden", lässt das an den fast
gleichlautenden Anfang der Gesellschaft vom Dachboden denken. Erzählstränge
aus Herein ohne anzuklopfen werden fortgeführt, ebenfalls aus diesem Roman
übernommen ist eine gesonderte Erwähnung der "Farne", und wenn in der
ersten Szene des Romans auf der stillgelegten Bahnstrecke ein Zug hält, so
zitiert Kreuder ein Motiv aus seiner Kurzgeschichte "Tunnel zu vermieten". Die Liste
ließe sich fast beliebig fortführen.
Wie das interpretieren? Ich denke, der Roman liest sich am besten, d.h. heute noch
am schlüssigsten als persönliches Dokument aus einer Verfassung heraus,
wie sie in einem Brief Kreuders wenige Tage vor seinem Tod an Karlheinz Deschner
anklingt:
Bei der Fernseh-Nobel-Feier am Sonntag [...] packte es mich tiefer: man hat mir
Unrecht getan. Ich hab gegeben, was nur wenige geben konnten, mit Müh und Geduld,
in meinen vergriffenen Büchern. War mir arg. Mir wurde bang. Nächstes
Jahr 70, und man wird nicht erwähnt, man soll noch immer Brötchen verdienen
müssen.
Und etwas später zitiert er in diesem letzten Brief vom 12.12.1972 den "ollen
Goethe":
Alles, was geschieht, ist Symbol, und indem es vollkommen sich selbst darstellt,
deutet es auf das Übrige. In dieser Betrachtung scheint mir die höchste
Anmaßung und die höchste Bescheidenheit zu liegen.
Der Nobelpreis ging in diesem Jahr an Heinrich Böll, einen Autor, der Kreuder
immer wieder lobende Kritiken gewidmet hat, den mit ihm auch persönlich eine
herzliche Zuneigung verband, der ihn in seinem Haus in Irland zu Gast hatte, über
dessen Texte sich Kreuder jedoch in der Regel eher herablassend geäußert
hat. Die Nobelpreisverleihung, mit der Böll in eine Reihe mit den von Kreuder
verehrten Hamsun und Faulkner aufrückt, hat Kreuder wohl auch als Nicht-Nobelpreisverleihung
an sich selbst erlebt. Und wie zum Trotz macht er in seinem Brief noch einmal eine
Liste von ihm hochgeschätzter deutschsprachiger Autoren auf, die den Preis
auch nicht bekommen haben: Döblin, Jahnn, Benn, Brecht, Robert Walser, Loerke,
Lehmann.. So ist es also zum einen das zugleich schmerzlich empfundene und trotzige
"man hat mir Unrecht getan", weshalb Kreuder in seinem letzten Roman noch einmal
im "zerebralen Fundbüro" kramt. Und das Goethe-Zitat scheint mir darauf in
diesem Zusammenhang zu meinen, dass er die eigene schriftstellerische Existenz für
sinnbildlich, für repräsentativ hielt.
So wie das Durcheinandergehen von Orten und Zeiten in der Nachkriegserzählung
Schwebender Weg versucht, das ohnmächtige Überwältigtsein durch das
Kriegserlebnis zu beschreiben, gestaltet das Durcheinander in Der Mann im Bahnwärterhaus
das Gefühl von Überwältigtsein durch das eigene Scheitern als repräsentativer
Autor "von Rang". Und so, als ohnmächtige Beschwörung der eigenen Geschichte
(die sich, wie angedeutet wurde, mit vielen berühmteren Zeitgenossen kreuzte)
gelesen, ist der Roman auch heute noch ein überaus anrührendes Dokument.
Stephan Rauer.
Quelle: Kritische Ausgabe 2/2003
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